Folsäure bei Udo Pollmer

Begonnen von Alva, 29. August 2011, 18:59:01

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Alva

Als mein Vater erfuhr, dass ich überlege wegen einer geplanten Schwangerschaft Folsäure zu nehmen, drückte er mir das Buch von Herrn Pollmer in die Hand und meinte, ich solle doch bitte mal den Absatz über Folsäure lesen. Herr Pollmer ist Ernährungsspezialist und wissenschaftlicher Leiter des Europäischen Institutes für Lebensmittel- und Ernährungswissenschaften.

Folsäure: Böses Spiel mit der Angst

Was kann es für einen Kaufmann Schöneres geben, als die werte Kundschaft von der Wiege bis zur bahre fürsorglich mit Lebenswichtigem auszustatten? Folsäure für die werdende Mutter, damit´s auch ja ein Prachtkind wird, Folsäure um der von Familie und Schicksal gebeutelten Mittvierzigerin aus der Depression zu helfen, Folsäure für den reifen Herrn, der sich bitte schön um Herz und Gefäße zu sorgen hat, und last but not least Folsäure fürs Gehirnjogging im Altersheim. Klingt fast zu schön um wahr zu sein. Sehen wir nach, was die Datenlage hergibt.
Einen Mangel an Folsäure kann es eigentlich nicht geben, denn der Stoff ist reichlich in tierischen wie pflanzlichen Lebensmitteln enthalten. Als die Bundesforschungsanstalt für Ernährung in den 90er Jahren die Folsäuregehalte in Lebensmitteln untersuchte, stellte sie überdies fest, dass diese vor allem bei Obst, Gemüse und Innereien um ein Mehrfaches über den bisher in den Nährwerttabellen angeführten Mengen liegen. Demnach war die Vitaminversorgung der Bevölkerung aufgrund von Analysefehlern jahrzehntelang unterschätzt worden. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung reagierte prompt: Statt ihre Mangelszenarien stillschweigend in den Papierkorb zu werfen, erhöhte sie einfach die Zufuhrempfehlungen: Statt 300 Mikrogramm pro Tag, sollten Erwachsene jetzt stolze 400 Mikrogramm aufnehmen. Und das, obwohl die DGE an anderer Stelle einräumt, dass bereits 100 bis 200 Mikrogramm vollkommen ausreichend sind.
Folge des unermüdlichen Abbetens von Mangellitaneien: Die Lebensmittelindustrie reichert alles Mögliche, angefangen von Frühstücksflocken über Erfrischungsgetränke und Molkereiprodukte bis hin zum Salz, mit Folsäure an. Das Bundesamt für Risikobewertung kam nach einer Untersuchung zur "Verwendung von Vitaminen in Lebensmitteln" zu dem Ergebnis, dass die Hälfte der Erwachsenen und drei Viertel der Kinder sogar die neuen, hohen Zufuhrempfehlungen erfüllen. Man kann davon ausgehen, dass sie damit in vielen Fällen natürlich auch überschritten werden. Dazu kommen noch Extragaben in Form von Tabletten an Schwangere und alle, die schwanger werden könnten. Da muss nicht nur die Frage nach dem Nutzen, einer reichen Folsäurezufuhr erlaubt sein, sondern gleichermaßen die nach dem möglichen Schaden.
Als Musterbeispiel für den Sinn und Erfolg von Folsäuregaben gilt nach wie vor der Kampf gegen Neuralrohrdefekte bei Säuglingen. Als "Neuralrohr" wird die embryonale Anlage von Gehirn und Rückenmark in den ersten Schwangerschaftswochen bezeichnet. Eine der möglichen Fehlbildungen in dieser Phase ist der sogenannte offene Rücken oder Spina bifida. Rund 15% der betroffenen Kinder werden bereits tot geboren. Manche leiden lebenslang an körperlichen Beeinträchtigungen, weil von der Wirbelsäule ausgehende Nervenbahnen gestört sind. Solche schweren Formen sind insgesamt jedoch selten und die allermeisten Fälle von Spina bifida mit einer Operation relativ gut zu beheben. Die Spina bifida stellt die dritthäufigste Fehlbildung bei Neugeborenen dar. "Häufig" heißt, dass die Zahl zwischen einem und zehn Fällen pro 10000 Geburten schwankt. Diese Daten sind aber mit Vorsicht zu genießen, denn bis heute fehlen aussagekräftige  nationale und internationale Erfassungsregister. Die vereinzelten Aufzeichnungen zeigen weltweit einen Rückgang der Erkrankung, ohne jedoch einen plausiblen Grund dafür zu liefern.
Wenn ein Folsäuremangel in der Ernährung schuld an den Krankheit wäre, müsste sie logischerweise bei ausreichender Versorgung mit dem Vitamin verschwinden. In den USA, wo seit 1998 das Mehl mit Folsäure versetzt wird, sehen es die Verantwortlichen denn auch als ihren Erfolg an, dass die Häufigkeit der Spina bifida zwischen 1996 und 1999 um ein Viertel gesunken ist. Betrachtet man die Fallzahlen jedoch über einen längeren Zeitraum, beispielsweise von 1991 bis 2000 so erkennt man bis 1995 einen deutlichen Anstieg und dann - 3 Jahre vor (!) Beginn der Folsäureanreicherung - ein ebenso deutliches Absinken. Auf den gesamten zeitlichen Verlauf bezogen lässt sich aus dem Zusatz von Folsäure kein positiver Effekt ableiten. Allenfalls könnte man meinen, dass mit Beginn der Supplementation der weitere Rückgang von Spina bifida stagniert, da die Fallzahlen ab 1998 nur noch geringfügig abnahmen. In Kanada, wo man ebenfalls 1998 begonnen hatte, Mehl mit Folsäure anzureichern, dasselbe Bild: Die Zahl der Spina bifida Fälle ist bereits seit 1995 rückläufig. Das erlaubt nur den Schluss, dass andere Faktoren für die Erkrankung und deren Verschwinden verantwortlich sind, nicht aber der Folsäuregehalt der Nahrung.
Das zeigte sich auch in Großbritannien. Dort kam es nämlich ohne jegliche gesundheitspolitische Intervention seit 1972 zu einem rasanten Rückgang von Neuralrohrdefekten. Dieses Phänomen wurde bereits 1985 vom Pädiater John Lorber von der Sheffield-Universität ausgiebig analysiert, der es vor allem der steigenden Zahl vorzeitiger Schwangerschaftsabbrüche aufgrund von pränataler Diagnostik zuschrieb. In der Tat sorgt dieser Trend langfristig für sinkende Fallzahlen, was die Verfechter der Folsäureanreicherung aber gerne als ihr Verdienst ausgeben. Als schließlich 1990 die Empfehlung zur Folsäuresupplementation ausgesprochen wurde und zwei Jahre später die ärztliche Verschreibungspflicht an alle Schwangeren begann, hatte das überhaupt keinen Einfluss aus die weitere Entwicklung der Fallzahlen.
Erziehung ist Beispiel und Liebe - sonst nichts. (Fröbel)

Am 17.5.2012 mit 55cm, 3950g und 36cm Kopfumfang geboren und hat unsere Herzen sofort erobert:


Am 25.10.2014 mit 55cm, 4140g und 36,5cm Kopfumfang geboren und macht unsere Welt noch schöner:

Alva


Laut einen Sonderbericht der internationalen Organisation EUROCAT, die fortlaufend Daten zu angeborenen Anomalien auswertet, entwickelten sich die Fallzahlen der Spina bifida in der vergangenen Dekade in den Ländern, in denen Schwangere Folsäure verordnet bekommen, ähnlich wie in den Ländern, die von einer Supplementierung Abstand nahmen. Damit ist die Anreicherung von Lebensmitteln mit Folsäure und das Verschreiben von Folsäure an Schwangere eine Maßnahme, die nicht dem ungeborenen Kind dient, sondern allenfalls den geborenen Geschäftsleuten unter den Vitaminhändlern.
Aber wenn kein allgemeiner Mangel zugrunde liegt, was dann? Darüber haben sich auch einige Toxikologen Gedanken gemacht, fanden allerdings im Gegensatz zu ihren Mangelkollegen nichts, was man gewinnbringend verkaufen könnte. Im Gegenteil, die Fährten, die sie aufnahmen, führten sie zu Giften, den sogenannten Teratogenen. James Renwick, einem Londoner Arzt, fiel Anfang der 70er Jahr auf, dass die in Schottland mit Neuralrohrdefekten geborenen Kinder vor allem in den Monaten März bis Juli gezeugt wurden. Seinerzeit lagerten die Schotten ihre Kartoffeln noch überwiegend selbst und manchmal auch unter ungünstigen Bedingungen ein. Deshalb kamen im Frühjahr und Frühsommer, bis zur Ernte neuer Kartoffeln, offenbar Gerichte auf den Tisch, die aus angekeimten Knollen zubereitet worden waren. Renwick hielt einen Inhaltsstoff aus angekeimten oder angefaulten Kartoffeln für den Übeltäter.
Der Gedanke ist gar nicht so abwegig. Mittlerweile weiß man, dass unter den Alkaloiden gekeimter Kartoffeln weniger das bekannte Solanin, sondern vor allem alpha-Chaconin, Solanidin sowie Solasodin teratogen wirken, das heißt, bei Ungeborenen Missbildungen hervorrufen. Diese Alkaloide ähneln in ihrer Struktur den sogenannten Veratrum-Alkaloiden mancher Heil- bzw. Giftpflanzen, die ebenfalls Spina bifida auslösen können.
Auch bestimmte Schimmelpilzgifte, die nicht nur in Kartoffeln vorkommen, stehen im dringenden Verdacht, Spina bifida auszulösen. So führt Fumonisin B1, das man häufig in Maisprodukten findet, im Tierversuch eindeutig zu Neuralrohrdefekten und anderen Missbildungen. Lange Zeit galt es als Rätsel, warum in Texas nahe der mexikanischen Grenze sechsmal mehr Neuralrohrdefekte auftraten, als in den restlichen USA. Erst Ende der 90er Jahre wurde der Zusammenhang aufgedeckt: Je mehr hausgemachte Maistortillas die Frauen verspeist hatten, desto höher war ihre Belastung mit Fumonisin B1 und damit die Häufigkeit von Fehlbildungen bei Neugeborenen. Da das Mykotoxin auch in den Folsäure Stoffwechsel eingreift, glauben viele Experten an einen ursächlichen Zusammenhang.
Auch in Europa weisen Maismehlprodukte wie Cornflakes, aber auch andere Frühstückscerealien immer wieder erhöhte Gehalte des Pilzgiftes auf. Als kanadische Wissenschaftler eine neue Analysemethode anwendeten, mit der sie die bislang nicht erfassten, weil an Zellrückstände gebundenen, Fumonisinrückstände bestimmen konnten, fanden sie heraus, dass 14 von 15 Frühstücksflocken belastet waren. Die Werte lagen dreimal höher als die bisherigen Kontrollresultate und überschritten, gemessen an den bei uns üblichen Standards, nicht nur den Grenzwert für diätetische Lebensmittel, sondern vereinzelt auch den EU-Richtwert.
Neben Alkaloiden und Mykotoxinen sind auch zahlreiche Medikamente als Ursache von Missbildungen bekannt. In Tschechien beispielsweise fand man ein erhöhtes Risiko für Spina bifida, wenn die Schwangere im ersten Trimester gerinnungshemmende oder blutdrucksenkende Medikamente eingenommen hatte. In Norwegen, Frankreich und Holland wurden speziell unter Einnahme von Antiepileptika vermehrt Neuralrohrdefekte beobachtet. Dass das Epilepsiemittel Valproat zu Spina bifida führt, gilt als gesichert. Besonders pikant für alle Vitaminprediger: Vitamin A kann ebenfalls zu Spina bifida führen, vor allem, wenn die werdende Mutter negativem Stress ausgesetzt ist.
Wer Neuralrohrdefekte verhindern will, sollte daher sein Augenmerk auf die einschlägigen Schimmelpilzgifte und taretogene Alkaloide richten und deren Gehalt in der Nahrung kontrollieren. Eigentlich sollte das zu den selbstverständlichen Aufgaben das vorbeugenden Verbraucherschutzes gehören. Ebenso müssten Vitamin A-haltige Nahrungsergänzungsmittel und Medikamente mit geeigneten Warnhinweisen versehen werden. Diese Maßnahmen würden weit wirksmer vor Spina bifida schützen als die Anreicherung mit Folsäure. Aber welche Lobby sollte sich hierfür einsetzen? Gibt es jemanden, der davon einen kommerziellen Vorteil hätte?

Das Buch ist von 2008, also durchaus aktuell und unter jedem Artikel stehen die dazu gehörenden Quellennachweise. Ob man dem guten Mann glauben schenken möchte, muss jeder für sich entscheiden. Ich persönlich habe meinen Konsum von Maismehlprodukten stark eingeschränkt und nehme bisher noch keine Folsäure. Dafür achte ich darauf möglichst viele folsäurehaltigen Lebensmittel zu essen.
Erziehung ist Beispiel und Liebe - sonst nichts. (Fröbel)

Am 17.5.2012 mit 55cm, 3950g und 36cm Kopfumfang geboren und hat unsere Herzen sofort erobert:


Am 25.10.2014 mit 55cm, 4140g und 36,5cm Kopfumfang geboren und macht unsere Welt noch schöner:

-Britta-

Hallo Alva,

ein sehr schöner Text finde ich. Ich mein, ich selber nehme auch Folsäure ein, sogar in erhöhter Dosis, aufgrund von meiner Vorgeschichte!!!
Aber meine Mutter, hat selber 6 gesunde Kinder OHNE Folsäure zur Weltgebracht... und sie findet es auch immer quatsch, wenn ich meine Tabletten nehm.
Skeptisch bin ich dem Gegenüber auch...aber ich nehms trotzdem, frei nach dem Motto: schaden wirds nicht.

Aber ein schöner Gedanken anstoß,

Danke!

Keinen Schritt auf dieser Erde getan,
aber unauslöschliche Spuren in unseren Herzen hinterlassen.







Fela

Huhu :)

Habe mich, nachdem ich das gelesen habe mal durch eine mir bekannte medizinische Datenbank geguckt, aber ich kann weiterhin dort nur (auch aktuelle) Studien finden, die sich pro Folsäure aussprechen.
Z.B. The effect of folic acid, protein energy and multiple micronutrient supplements in pregnancy on stillbirths.  ( http://www.biomedcentral.com/1471-2458/11/S3/S4 )

Allerdings finde ich, es spricht nichts dagegen, statt z.B. Tabletten, den Folsäurebedarf mit entsprechender Ernährung abzudecken.

Dann war ich neugierig und habe noch nach Udo Pollmer gegoogelt, eine umstrittene Persönlichkeit, wie mir dann die einschlägig bekannten Quellen (Wiki ;) ) mitteilten.

Achja, ich finde er schweift etwas ab, wenn es in dem Absatz nur um Folat gehen soll. Weil die ganzen teratogenen Effekte von Pilzgiften und Medikamenten, die eigentlich auch schon lange bekannt sind (mir zumindest  ::) ) kann Folsäure natürlich nicht aufheben.

Jedenfalls: Meiner Meinung und meines Wissens nach kann man Folsäure als wasserlösliches Vitamin der B Gruppe im Gegensatz zu z.B. dem erwähnten Vit. A nicht überdosiert werden(wird dann nicht aufgenommen) und es ist deshalb nicht schädlich, wie empfohlen Folsäure zu nehmen (wenn man mag).

Liebe Grüße, Fela
Der Große Schlingel ist da :)  *19. 9. 2007 11.53 Uhr 3340g, 51 cm und 37 cm KU
Der kleine Frechdachs ist da :)  *2. 11. 2011 20.48 Uhr 4250g, 54cm und 38 cm KU zu Hause!

lacillia

Das hat mir jetzt bißchen den Appetit auf meine Cornflakes versaut... :-\

Ich meine klar, wenn man in der SS vom Arzt was empfohlen bekommt, dann nimmt man es doch meist ohne es zu hinterfragen. Aber eigentlich sollte man schon davon ausgehen, daß Ärzte auch ne gewisse Ahnung haben und nicht nur wahllos Sachen verschreiben/empfehlen, weils von der Pharmaindustrie kommt, oder?


Mausi82

Passt auf das ihr euch nicht von einem einzigen Bericht beeinflussen lasst. Ein Bericht soll alles zunichte machen was viele Ärzte vertreten? Ich kenne einige Berichte von ihm und er hat irgendwie immer eine etwas andere Meinung als andere.
Ich muss zugeben, ich bin aber auch aus anderen Gründen nicht "wertneutral" gegenüber ihm.

01/12 Mädchen
10/13 * 13. Woche
08/14 *   8. Woche

Malou

Ich kenne diesen Mann nicht, aber es gibt immer wieder Ärzte oder Ernährungsmenschen, die sich dagegen aussprechen.

Ich selbst nehme in dieser SS Folsäure (allerdings nicht als Tablette, sondern in Nahrungsergänzungsmitteln) und ernähre mich sowieso seit anfang des Jahres sehr gesund. (Hab die Ernährung komplett umgestellt. Warum trotzdem Ergänzungsmittel? Weil der Bedarf an Vitaminen und NÄhrstoffen den wir haben heute überhaupt nicht mehr in Obst und Gemüse drin ist (im Vergleich zu vor 70 Jahren).

In meiner ersten ss hab ich keine Folsäure genommen (nicht weil ich nicht wollte, sondern weil ichs schlichtweg einfach meistens vergessen hab...  ::)

Die Folge davon war, dass mein Sohn fast mit einem offenen Rücken geboren wurde (das KANN eine Folge sein, wenn man keine Folsäure nimmt). Ich schrieb "fast" weil dann doch noch alles gut gegangen ist. Der Kinderarzt hat bei der U3 festgestellt, dass kurz vor der Geburt die Haut über dem Rücken noch zugewachsen ist ("Das ist ein Wunder" meinte er "ihr Sohn hat viele Schutzengel gehabt.") Heute sieht man nur ein kleines Loch unter der Haut.

Und in dieser ss werde ich mit Sicherheit nicht vergessen Folsäure zu nehmen.
               


lacillia

Also, ich kenne bisher keinen, der sich gegen Folsäure ausgesprochen hat, in welcher Form auch immer. Habe natürlich auch noch nicht versucht, im Internet andere Meinungen ausfindig zu machen. Und wenn ich anfangen würde, würde ich bestimmt für beide Seiten Argumente finden. Ich vertrau einfach meiner Ärztin, ich denke, sie weiß, was sie tut und sagt!